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Detlefs Bericht über den Folk Club Nr. 143 am 2. Februar 2024

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Akzente und Dialekte im Folk Club Nr. 143 im Februar 2024

Das Thema des Abends passt zwar in die fünfte Jahreszeit, aber es sollte ja nicht auf den rheinischen Dialekt beschränkt sein. Und wenn man sich mit Dialekten beschäftigt, was kann man dann mit Dialekten in Sprachen anfangen, die man ohnehin nur teilweise (Englisch) oder gar nicht (fast alle anderen Sprachen) beherrscht. Auf jeden Fall war das Thema einen Versuch wert, und wir denken, es hat auch einige schöne Ergebnisse hervorgebracht.

Den Start machte wie immer John Harrison, der uns mit einem Gedicht des schottischen Nationaldichters Robert Burns ins Zentrum des heutigen Themas katapultierte. Nicht nur macht der schottische Dialekt das Gesprochene für den nicht-Schotten (ganz zu schweigen von nicht-englisch-Muttersprachlern) schwer verständlich, hinzu kommen Ausdrücke, die kaum jemand südlich des Tweed kennt, und manche dieser Ausdrücke sind zudem seit dem 18. Jahrhundert aus der Mode gekommen. Das Gedicht handelt von einer Maus, die ein pflügender Landmann bei seiner Arbeit aus der Erde holt. Ausgerechnet im Herbst, als es kälter wird, wird ihr Zuhause ramponiert. Gottseidank hat John ein Einsehen mit den armen Zuhörern und trägt das Gedicht nochmals in „anständigem“ Englisch vor. Etwas weiter südlich auf der Insel liegt Yorkshire, dessen Dialekt es ebenfalls in sich hat. John präsentierte mit Elenas Unterstützung eine kleine Szene, die in einem Pub in den 1970er Jahren spielt. „Yorkshire Lament“ heißt der Text, in dem sich der arme Gast bei der Wirtin über das zu dünne Bier beschwert und nur eine pampige Antwort bekommt. Elena spielte dabei die kratzbürstige Kneipenwirtin. Eigentlich stellt man sich doch den Umgang der Engländer ein wenig gediegener vor, oder? Von wegen, alles nur euphemistische Vorurteile.

Gert Müller, unser treuer Kultivator der Bonner Mundart, entführte uns nun ins Reich der Bibel mit Geschichten aus Jesus‘ Leben. Im Schweinsgalopp ging es durch die ersten Episoden in Jesus‘ Leben als Erwachsener bis zum Wunder der Hochzeit von Kanaa. Ja, so macht es Spaß, in der Bibel zu lesen – köstlich! Hier waren nun wieder die Rheinländer im Vorteil. So ist das nun einmal mit den Dialekten – für Auswärtige eher unverständliche Töne.

Ab in Deutschlands Norden entführten uns sodann Anke und Jörg Bohnsack: „Snuten un Poten“, also Schweineschnauzen und Pfötchen, das ist ein Hamburger Armeleutegericht, über das die Gebrüder Wolf Anfang des 20. Jahrhunderts einen Gassenhauer geschrieben haben, der als Hamburgs heimliche Hymne gilt. Als echte Kinners vun de Waterkant hatten Anke und Jörg auch keine Probleme, das Lied in unverfälschtem Hamburger Dialekt vorzutragen, ein Hochgenuss. Hier der Refrain zum Nachlesen:

Dat sind de
Snuten un Poten,
Dat is’n fein Gericht,
Arften und Bohnen,
Wat Scheun’res gifft dat nicht.
Spickool und Klüten
Und denn een Kööm dorto,
O Kinners, Kinners, wat’n Eten!
Lang man düchtig to!

„Lütt Anna Susanna“ ist ein weiteres humorvolles Lied, das die Brautwerbung in früheren Zeiten beschreibt. Dabei geht es ziemlich deftig zur Sache. Die Mutter holt die Junggesellen ins Haus, und wo sie nicht sachkundig genug sind, z.B. beim Tanzen und Küssen, da muss mit geeigneten Mitteln nachgeholfen werden. Als Abschluss präsentierten Anke und Jörg einen weiteren Hamburger Klassiker: „Rolling Home“ oder „Dor fohr vun Hamborg mol so´n olen Kassen“. Das war eine Gelegenheit für das Publikum, den bekannten Refrain „Rolling home, Rolling home, Rolling home across the sea“ mitzusingen. Das klang schon wie ein richtiger Shantychor – herzergreifend!

Ebenfalls aus dem Norden kommt das bekannte Lied „Dat du mien Leevsten büst“, das Hans Ihnen vorstellte. Weil auch Hans ein waschechter Junge von der Nordsee ist, klingt der Text wirklich authentisch.

An die norddeutsche Serie schloss sich auch Peter Bachmann nahtlos mit „Min Jehan“, dem sehnsuchtsvollen, wunderschön vertonten Gedicht von Klaus Groth an, das im Gedichtband „Quickborn“ 1852 veröffentlicht wurde. Klaus Groth schildert darin seine Trauer über die unwiederbringlich vergangene Kindheit in seiner Dithmarscher Heimat an der Seite seines Freundes Johann (Jehan). Kleine Info am Rande: Der Germanist Groth, der sich der Erhaltung und Belebung der niederdeutschen Sprache verschrieben hatte, kam 1855 auf einer Reise auch nach Bonn, wo ihm die Philosophische Fakultät unserer Universität die Ehrendoktorwürde verlieh. Klaus Groth, der große Mundartdichter ist somit quasi auch Bonner! Ja, und das ist eine passende Überleitung für die anschließenden zwei Lieder, die Peter uns in Kölnischer Mundart vorstellte: „Hallelujah op Kölsch“ und „Su vill Zick is zerronne“ von Gerd Köster und Frank Hocker. Peter präsentierte damit auch eine kleine Ode an den im Oktober vorigen Jahres verstorbenen Frank Hocker.

John Hay definierte gleich mal Hochdeutsch zu einem Dialekt (den aus Hannover) um. Ist ja auch eine Sichtweise, und wenn man es genau bedenkt, auch sicherlich richtig. Obwohl es auch im Hannöverschen ein Platt gibt (Fragmente daraus lassen sich bei z.B. Wilhelm Busch finden u.a. in Max und Moritz: Bauer Mecke im letzten Streich: „Zapperment! Dat Ding werd lichter“ und „wat geiht meck dat an“), klingt zwischen Celle und Göttingen die Aussprache des Hochdeutschen eher „neutral“, Hannoveraner Dialekt eben! Ja und in diesem Dialekt präsentierte er uns sein Lied „Land der Dichter und Denker“ über die Licht- und Schattenseiten seiner gewählten Heimat. Das Ganze untermalte er auf der Gitarre mit der Instrumentalbegleitung von Bachs „Jesus bleibet meine Freude“ (BWV 147). Bach fast in Originalversion ist die Air auf der G-Saite, die eine Bearbeitung von August Wilhelmi des zweiten Satzes der ursprünglichen bacchischen Orchestersuite Nummer 3 in D-Dur (BWV 1068) darstellt. John, der sich seit einiger Zeit intensiver der Musik Bachs widmet, meisterte die Gitarrenversion mit Bravour. Ebenfalls angelehnt an die Melodien der musikalischen Barockfürsten ist sein Liebeslied „Ich sag’s mit Bach, ich sag’s mit Pachelbel“, eine herrliche Bearbeitung der bekannten Motive der beiden Komponisten für seine musikalische Liebeserklärung – an die eigene Frau.

Rainer Goetzendorf, auch schon kein Unbekannter mehr im Folk Club, beglückte das Publikum mit dem Gassenhauer von Hannes Wader „Heute hier, morgen dort“ – ideal zum Mitsingen. Ähnlich wie John Hay hatte er auch eine musikalische Liebeserklärung an seine Frau im Gepäck: das Lied aus eigener Feder mit einem Rückblick auf die vielen gemeinsamen Jahre „Weißt du, wie verliebt wir damals waren?“ – anrührend!

Der Featured Artist des Abends war Shay McVeigh. Als Ire (aus dem nordirischen Belfast) brauchte er sich nicht besonders anzustrengen, um mit seiner Aussprache bei all seinen Liedern dem Thema des Abends gerecht zu werden. Shay stellte ausschließlich Lieder anderer Autoren vor und dies mit perfekter Gitarrenbeherrschung und feinem Fingerpicking. Es war ein Genuss, ihm zuzuhören, auch wenn – ich hoffe, die kleine Anmerkung sei erlaubt – die Texte der Lieder von ihm gesungen zumindest für Zuhörer, die Englisch nicht ihre Muttersprache nennen, kaum zu verstehen waren. Ja, leider ist Shay nicht der Einzige, bei dem Genuschel sowohl bei den Liedern als bei der Ansage der Lieder zum guten Ton zu gehören scheint. Tröstet euch, zumindest bei Shays Liedern könnt ihr alle Texte im Internet nachlesen. Ich nenne euch hier die Titel:

Es waren im ersten Set: „Cinema“; von der Band Blue Rodeo aus Kanada, „Wish It Was True“; von The White Buffalo, alias Jacob Aaron Smith (die Songs wurden in der Fernsehserie „Sons of Anarchy” gespielt), „Boston“ von Mick Flannery. Im zweiten Set nach der Pause gab es „Pablo Picasso“ von Citizen Cope (ein Lied über einen Stadtstreicher, der sich in die Frau auf einem Plakat verliebt und durchsetzen will, dass das Plakat erhalten bleibt – beeindruckend).  „Agony“ von Ezio (Ezio Lunedei und dessen Partner Mark Booga), „Letter To Madeline“ von Ian Noe, „Millionaire” von David Olney. Etwas bekannter waren „Girl From The North” von Bob Dylan und „Sam Stone” von John Prine, das niederschmetternde Lied über einen Vietnamveteranen, der wegen seiner Verwundungsschmerzen morphiumabhängig wird und daran zugrunde geht. Als Zugaben spielte er den Hobo-Song „Lawless Soirez” von Gill Landry und „The Near Dearly Departed” von der Gruppe Rawlins Cross. Wow, ein beeindruckendes Repertoire an nicht alltäglichen Liedern.

Aber euer Chronist hat hier die Vorträge vor Shays zweitem Auftritt übersprungen, und die waren auch nicht zu verachten:

John Harrison, der am Anfang des Abends ausschließlich Gedichte zu Gehör gebracht hatte, präsentierte nun noch zwei Lieder und wurde dabei von Christoph Thiebes virtuos auf der Mundharmonika begleitet: Den Anfang machte der Blues „Stack O’Lee“ von John S. Hurt aus dem Jahr 1928 (Hurt mit t, nicht zu verwechseln mit unserem englischen Hofberichterstatter John Hurd mit d). Das Lied wird auch Stagger Lee, Stagolee oder Stack a Lee geschrieben. Es handelt davon, dass ein Mann seinen Freund nach einem nichtigen Anlass kurzerhand erschießt. John zufolge geht die Geschichte aber gut aus: Der Mörder wird gefasst und gehängt – na ja, gut ist etwas anderes. Immerhin, in der historisch verbürgten Geschichte – nachzulesen in The St. Louis Globe Democrat 1895 – wurde der Bösewicht „nur“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und starb im Kittchen an Tuberkulose. Der amerikanische Bänkelsänger hatte die Geschichte leicht abgewandelt. Die drastischere Variante macht sich nun mal besser. Ein weiteres Lied aus der Frühzeit des Blues ist „Keep Your Hands Off Her“ von Altmeister Leadbelly alias Huddie Ledbetter, das mit seinem erfrischenden Rhythmus die Zuhörer in sanfte Bewegung brachte. Dazu trug Christophs phänomenale Mundharmonikabegleitung nicht unwesentlich bei.

Helge Kirscht trat zwar nicht zum ersten Mal im Folk Club auf, aber wer erinnert sich noch ohne nachzuschauen an seinen Auftritt im November 2015? Helges Spezialität sind witzige oder nachdenkliche Lieder auf Deutsch, manchmal mit „geklauter“ Melodie. Das Lied „Smile“ hat zwar einen englischen Titel und auch einen englischen Refrain (Why don’t you like my smile?“), der Text an sich hingegen ist eine Aufmunterung auf Deutsch. Alles geht schief, aber der Held lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Wir erinnern uns gern an Lieder mit ähnlichem Thema: Jürgen von der Lippe sang einst „Guten Morgen, liebe Sorgen“ oder Bobby McFerrin „Don’t Worry, Be Happy“ – sehr aufmunternd! Zur Melodie von Phil Collins‘ „Another Day In Paradise“ dichtete Helge das Lied „Frankfurt West“ über den tristen Arbeitsalltag in Frankfurt. Es könnte aber auch anderswo sein. Erinnerungen an unsere Kindheit rief danach das lustige Lied von Bill Ramsey „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ aus dem Jahr 1962 hervor. Damit hatte Helge auch seinen Beitrag zum Thema des Abends geleistet, denn Bill Ramseys Markenzeichen war der ausgeprägte und vermutlich von Ramsey besonders gepflegte amerikanische Akzent – köstlich.

Zurück ins Rheinland – aber nur in Bezug auf den Dialekt – führte uns dann erneut Gert Müller. Seine Geschichte spielte natürlich wieder im Heiligen Land. Mit dem Gedicht „Jesus lööv övver dat Wasser“ erzählte er uns dann, wie sich die Geschichte am See Genezareth mit Jesus‘ Gang über das Wasser wirklich abgespielt hatte: Von wegen Wunder – Jesus wusste nur, wo die Felsen dicht unter der Wasseroberfläche waren.

So, jetzt gab es noch mal einen kleinen Zug nach Norden mit Mario Dompke, der zwar im nördlichen Deutschland aufgewachsen ist aber nicht ganz so weit nördlich dort, wo seine Lieder verortet sind. „Hey mien Deern“ ist ein Lied aus eigener Feder über eine gute Freundin aus Aurich, die ihn in früheren Zeiten mit ihrem Plattdeutsch traktiert hatte. „Trina kumm mal vör de Dör“ in plattdeutscher Sprache ist ein Volkslied, dessen Ursprung je nach Quelle in einer anderen Gegend angesiedelt wird, alle liegen sie aber an der deutschen Küste. Bei dem Lied erhielt Mario, der sich auf der Waldzither begleitete, Gitarrenunterstützung von Hans Ihnen. Kompliment für Marios niedliche Zwischenspiele auf der Waldzither. Der selige Steve Perry, der die Waldzither einst im Folk Club eingeführt hat, wird sicher am Himmelspöötzje Beifall geklatscht haben. Zum Schluss durfte der bekannteste aller deutschen Seeshantys nicht fehlen: „De Hamborger Veeermaster“. „Blow, boys blow, for Californio“ erklang es dann aus den Kehlen des großen Shantychores – ein wunderbarer Spaß. Hernach trat Shay McVeigh auf, aber das hatten wir ja schon (siehe oben).

Pflichtübung zum Abschuss des Abends war die Huldigung an den Patron des Folk Clubs, Jock Stewart.

Auf Wiedersehen am Freitag, den 1. März bei einer Singers‘ Night mit umfangreichem Programm und einem etwas längeren Auftritt von Sam Robb.


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